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Arbeitsrecht: Die schweizerische Kündigungsfreiheit als europäisches Unikum

Immer häufiger melden sich Einwanderer aus EU-Staaten mit arbeitsrechtlichen Fragen. Meine Antwort, dass man gegen eine Kündigung an sich in der Regel nichts machen, ausser in seltenen Fällen bescheidene finanzielle Forderungen stellen kann, führt oft zu grossem Entsetzen bei den Betroffenen. Viele verstehen die Welt nicht mehr. Woher kommen diese heftigen Reaktionen?

Das schweizerische Arbeitsrecht ist im europäischen Vergleich sehr liberal. In der Schweiz gilt die Kündigungsfreiheit. Eine Kündigung ist immer dann erlaubt, wenn sie nicht ausnahmsweise verboten ist. Strenger sind die Arbeitsrecht: Die schweizerische Kündigungsfreiheit als europäisches Unikum Anforderungen für die öffentlich-rechtlich
Angestellten. In unseren Nachbarländern gilt hingegen der umgekehrte Grundsatz: Kündigungen sind nur ausnahmsweise erlaubt.

Nach dem schweizerischen Obligationenrecht, welches für die grosse Mehrheit der Arbeitnehmer gilt, kann ein Arbeitsverhältnis unter Beachtung von vertraglichen und gesetzlichen Fristen grundsätzlich jederzeit ohne besondere Begründung gekündigt werden.

Auch bei einer missbräuchlichen Kündigung (Art. 336f. OR) besteht kein Anspruch auf Wiedereinstellung. In diesen Fällen stellt sich lediglich die Frage nach der Höhe der Entschädigung, die maximal und in seltenen Fällen sechs Monatslöhne betragen kann. Zusätzliche Schadenersatzansprüche sind theoretisch denkbar, in der Praxis aber selten durchsetzbar. Eine Kündigung, die jedoch nach Ablauf der Probezeit zur Unzeit (während Krankheit, Unfall, Schwangerschaft, Militärdienst, Zivilschutz, etc.) ausgesprochen wird, ist nichtig. Zu beachten bleibt, dass die sogenannten Sperrfristen zeitlich limitiert sind (Art. 336c OR). In solchen Fällen ist der Kündigungsschutz für begrenzte Zeit umfassend.

Das Gleichstellungsgesetz, welches die Förderung der tatsächlichen Gleichstellung von Mann und Frau bezweckt, kennt die Anfechtbarkeit einer Rachekündigung und die provisorische Wiedereinstellung für die Dauer des Verfahrens (Art. 10 GlG). Diese Bestimmung stellt eine Neuheit im schweizerischen Arbeitsvertragsrecht dar. Da die persönliche Belastung der Betroffenen in solchen Konstellationen immer sehr hoch ist, verzichten die meisten auf die Wiedereinstellung und fordern stattdessen eine Entschädigung.

In der Schweiz muss die Kündigung auf Wunsch des Arbeitnehmers begründet werden (Art. 335 OR), obwohl die Begründung kein Gültigkeitserfordernis darstellt. Diese Pflicht führt dann bei den Arbeitgebern oft zu Missverständnissen. Sie suchen nach trifftigen Gründen, die es gar nicht braucht.

Versuche, das schweizerische Arbeitsrecht zu ändern und einen grösseren Kündigungsschutz einzuführen, scheiterten. Dies erstaunt nicht, denn das liberale Arbeitsrecht gilt als
wichtiger Standortvorteil der Schweiz. M.E. gibt die Kündigungsfreiheit auch den Arbeitssuchenden grössere Chancen. Als Arbeitgeber muss ich mir nicht bis ins letzte Detail sicher sein, ob dieser Arbeitnehmer auch nach der Probezeit noch in mein Unternehmen passt. Passt er nicht mehr, kann ich kündigen. So bin ich eher in der Lage, einen längerfristigen Versuch zu starten, was für viele Arbeitnehmer eine Chance sein kann.

Auch die Arbeitslosenquote in der Schweiz, die im Vergleich mit den EU-Ländern verhältnismässig gut abschneidet, spricht nicht gegen unser liberales Arbeitsrecht.